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Kann #Digitalisierung die #SDG Zielerreichung unterstützen?

Kann #Digitalisierung die #SDG Zielerreichung unterstützen?

Es gibt noch viel zu tun, um die Welt nachhaltig zu entwickeln. Die 17 „Sustainable Development Goals“ (SDG), wie z.B. Beenden von Hungersnöten, mit ihren mehreren Dutzend Unterzielen sollen bis 2030 erreicht werden. Und erst kleine Teile davon sind geschafft.

Dabei wird unser aller Alltag derzeit vor allem von der rasanten Beschleunigung der Digitaltechnologie bestimmt, die unsere Gesellschaft höchst dynamisch verändert. Da liegt die Frage nahe: Kann Digitaltechnologie bei der Erreichung der SDG helfen?  Für mich als Nachhaltigkeitsmanagerin und seit fast 20 Jahren in der Internet-  und Telekommunikationsindustrietätig, wäre es eine faszinierende Vorstellung, dass Digitalisierung die nachhaltige Entwicklung unterstützen kann.

sdg-digital

Gesi – die „Global e-Sustainability Initiative“ – ist dieser Frage nachgegangen und kommt (nicht wirklich verwunderlich) zur deutlichen Aussage: Ja, sehr sogar!

Und so soll Digitaltechnologie wirken:

  • Durch De-Materialisierung kann die CO2-Emissions um 20% gegenüber dem „Business as usual“-Szenario reduziert werden und damit helfen, den Klimawandel zu bekämpfen (SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“)
  • 1,6 Mrd. Menschen können von e-Healthcare profitieren (SDG Ziel 3 „Gesundheit und Wohlergehen“)
  • 30 Mio. Verletzungen und 720 Tausend Opfern durch Straßenunfälle wird durch „Car2X“-Technologie vorgebeugt. Sie erlaubt es, dass Autos mit ihrem Umfeld kommunizieren (SDG Ziel 3 „Gesundheit und Wohlergehen“)
  • +900 kg mehr Ertrag pro Hektar durch “Smart Agriculture (SDG Ziel 2 „Kein Hunger“)
  • Durch Breitbandausbau in Schwellenländern kann das Bruttoinlandsprodukt um 12% gesteigert (SDG Ziel 8 „Menschenwürde, Arbeit und Wirtschaftswachstum“)
  • 9 Billionen US Dollar Umsätze und Kosteneinsparungen werden weltweit unterstützt (SDG Ziel 8 s.o.)

Vor allem aber würden alle 17 SDG und mehr als 50% der 169 Ziele positiv beeinflusst und könnten bis zu 23x die Diffusion und Reichweite von „nichtdigitalen“ Lösungen erreichen. Das SDG Ziel 9 „Industrie, Infrastruktur und Innovation“ steuert u.a. direkt auf die Verbesserung des Internetzugangs für alle. Dies würde ganz direkt mit den Maßnahmen zur Stärkung der Digitaltechnologie verfolgt.

GeSI – die „Global e-Sustainability Initiative“ hat die Reihe ihrer Studien weitergeführt und im Juni 2016 die neueste, die von Accenture umgesetzt wurde, vorgelegt. Mit der dritten Studie verbindet sie die Chancen der ICT (ITK,  Informations- und Kommunikationstechnologie) – jetzt „Digitalisierung“ genannt – mit den aktuellen globalen Zielen der United Nations, den Sustainable Development Goals: „#SystemTransformation. How digital solution will drive progress towards the sustainable development goals”.

Leider legt die Studie keinen Business Case vor, der darstellt mit welchem Aufwand diese Ziele zu erreichen sind. Es bleibt also unklar, wie hoch die Aufwände und Investitionen von staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite sein müssten, um die Digitalisierung für die Nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Auch sind die umfänglichen Zahlenwerke nicht nachvollziehbar – das dahinterliegende Material wurde nicht öffentlich zur Verfügung gestellt.

Es ist aufgrund der Mitglieder von GeSI –  u.a. 40 der führenden ICT-Unternehmen – anzunehmen, dass der Wunsch der Herausgeber besteht, einen möglichst großen Effekt der ICT auf die SDG darzustellen. Das kann „blinde Flecken“ verursachen.

Um ein Beispiel zu nennen: Führt eine „Smart Agriculture“, d.h. das optimierte Farm Management sowie automatisierte Systeme, wirklich weniger Hungers in der Welt? Nicht, wenn es um Vandana Shiva, weltweit anerkannte Wissenschaftlerin, Schriftstellerin und Gründerin von Navdanya, geht. Sie kämpft für Nahrungsmittelsouveränität und gegen Agrarkonzerne. Letztere schränkten diese aufgrund von Patenten ein und würden auch nur zu einem sehr geringen Teil für die Ernährung der Welt sorgen (vgl. Film  „Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen“). Hier fehlt in der Studie eine Darstellung der angenommenen Rahmenbedingungen, „side-effects“ und eine kritische Diskussion.

Das lässt mich zweifeln: Vielleicht ist die Studie doch eher Lobbyarbeit einer Branche und die Ergebnisse wertlos?

Mein Fazit: es liegt eine umfangreiche zahlenbasierte Studie vor, die zwar erstrebenswerte Ergebnisse in Aussicht stellt, aber keine Aussage darüber trifft, wie hoch der globale Einsatz sein muss, deren Berechnungen (zunächst) nicht nachvollziehbar sind und die die Voraussetzungen und Annahmen nicht kritisch diskutiert.

Und so sind die dargestellten Wirkungen der Digitaltechnologie auf die Nachhaltige Entwicklung zunächst mit Vorsicht zu genießen. Ich denke, da kann und wird noch genauer hin zu sehen sein.

Kompetent in die digitale Wissensgesellschaft?

Kompetent in die digitale Wissensgesellschaft?

Zwei brandaktuelle Publikationen unserer Bundesministerien zum Thema „digitale Welt“ haben mich diese Woche bewegt: Zum einen die brandaktuelle  Studie zum Digitalisierungsstand der Deutschen vom BMWi (gemeinsam mit der D21-Initiative) und das Strategiepapier „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des BMBF.

Erstere hat neben dem aktuellen Stand des Digitalisierungsindex insbesondere die Digitalisierungskompetenz der Deutschen (auf Basis der Definition des EUROPASS) untersucht. Wenig erstaunlich, dennoch in seiner Deutlichkeit wichtig: 26 % der deutschen Bevölkerung sind abseitsstehende Skeptiker mit geringen Digitalkompetenzen und 39% sind konservative Gelegenheitsnutzer.  Das Gros (65%) der deutschen Bevölkerung nutzt die digitale Technologie also bestenfalls gelegentlich und fühlt sich auch bestenfalls mittelmäßig kompetent: Das Know-How mit dem wir Deutschen der fortschreitenden Vernetzung der Welt begegnen ist deutlich „ausbaufähig“.

digitalisierungsindex

Um dies zu ändern und mit entsprechenden Kompetenzen für die Zukunft gerüstet zu sein, wird auf Bildung verwiesen.

Passend wurde dann in dieser Woche die „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ vom BMBF veröffentlicht. Leider bleibt das Papier dennoch die Antwort auf die Frage schuldig, wie wir Deutsche die notwendige Kompetenz für die „digitale Wissensgesellschaft“ erlangen sollen. Bei den dargestellten Umsetzungsmaßnahmen zur digitalen Bildung handelt es sich vor allem um Maßnahmen zur Verbesserung der Mediennutzung.

Und schwach ist  die Strategie, wenn es um das Bildungsziel geht. Der Bildungsbegriff „für die digitale Wissensgesellschaft“ ist fast vollständig abgeleitet aus dem Funktionieren des Schülers, Studierenden, Lernenden für und in der Arbeits- bzw. Berufswelt. Quasi im Nebensatz werden „klassische Kompetenzen“ genannt. Und immerhin wird Selbst- und Verantwortungsbewusstsein als Bildungsziel zuerkannt.

Der Begriff reduziert Bildung auf ihre Funktion als „Ausbilder der Wirtschaft“ (da wird wohl deutlich, wer derzeit die Diskussion der Digitalisierung bestimmt). Und er reicht m. E. nicht aus, um uns für die sicherlich beherrschende Technologie der nächsten Jahrzehnte zu rüsten. Dabei ist den Autoren durchaus bewusst, dass die vernetzte Welt „alle Lebensbereiche“ durchdringt: Sie schildern es plastisch in der Einleitung des Papiers.

Dabei wurden in der UN-Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014), die jetzt in das Weltaktionsprogramm BNE des BMBF (!) gemündet sind, Kompetenzen für eine globale und zukunftsfähige Gesellschaft beschrieben. Das sind u.a.:  aktiv Teilhaben/Gestalten, Dilemmata bewältigen, autonom Handeln, vorausschauend Denken oder interdisziplinärer Austausch beim Wissensaufbau. Sind diese Kompetenzen für die Zukunft jetzt andere, weil wir uns heute stärker bewusst sind, dass diese zukünftige Welt digital vernetzt ist?

Ich meine, es sind genau diese nachhaltigen Fähigkeiten, die wir als Akteure in der digitalen Wissensgesellschaft brauchen, wenn wir sie verstehen, gestalten, steuern (und nicht nur nutzen) wollen.

„Nur wenn wir die digitale Transformation wert- und zielorientiert gestalten, kann sie nachhaltig werden.“ Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Broy

Wer macht sich nun auf dem Weg, Bildung für eine digital vernetzte, globalisierte und vergleichsweise wohlhabende demokratische Gesellschaft zu gestalten? Welche Kompetenzen sind hilfreich für ein gutes Leben? Und freue mich über einen interdisziplinären (besser noch transdisziplinären) und vorausschauenden Diskurs.