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„Digital Charta“: Reibungsfläche für die digitale Gesellschaft

„Digital Charta“: Reibungsfläche für die digitale Gesellschaft

„Digitalisierung“ scheint heute vor allem ein Thema der Wirtschaft zu sein. Und ich bekomme den Eindruck, dass die Regelungsgeber in Deutschland die Wirkung von digitaler Vernetzung nicht in ausreichendem Umfang interpretieren – (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag https://wiseway.de/kompetent-in-die-digitale-wissensgesellschaft/). Entsprechend besteht bisher keine politische Plattform für einen gesellschaftlichen Austausch, wie die „digitale Gesellschaft“ gelebt werden sollen.

Vielleicht gibt es deswegen seit gestern zumindest einen zivilgesellschaftlichen Entwurf, den eine Reihe von Soziologen, Journalisten, Wissenschaftler, Netzaktivisten, Social Entrepreneure, Unternehmensführer und auch Politiker initiiert haben, die „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“. Umgesetzt wurde das Projekt von der „Zeit Stiftung“. Es geht um nichts weniger, als die Grund- und Verfassungswerte auf eine „digitale Gesellschaft“ zu beziehen.

reibung

Wir alle werden auf der Website aufgefordert, dieses Engagement zu unterstützen (auch wenn man die Formulierungen im Detail nicht teilt), zu kommentieren und zu diskutieren. Mehr zu den „Digital Charta“ hier.

Seit ihrer Veröffentlichung besteht bereits harscher Kritik von juristischer Seite an dem Unterfangen z.B. veröffentlichte Markus Compa den Artikel „Digitale Chartastimmung“. Er wirft den „Hohepriestern abendländischen Intellekts“ vor, sie seien „damit überfordert, erst einmal den juristischen Ist-Zustand zu analysieren“. Weitere Rechtsanwälte haben sich dazu geäußert. Es gehe darum „das Internet dem Rundfunkrecht zu unterwerfen“ – schnell sind wir bei der Diskussion um Freiheit oder Kontrolle des Netzes.

Ich meine, dass jenseits politisch gefärbter Kritik sowie juristischer Beurteilung eine gesellschaftsübergreifende Diskussion zu grundlegenden Werten „in der digitalen Gesellschaft“ erfolgen muss – daher ich unterstütze die „Reibungsfläche“, die die Digital Charta bietet, und habe unterzeichnet.

Seit über 20 Jahren fasziniert mich der Gedanke der neutralen Kommunikationsplattform von „jeder mit jedem“. Ich möchte ein neutrales und nicht-reguliertes Internet. Aber ich sehe auch, dass „bislang sind vor allem die Plattformbetreiber und Softwareentwickler die Architekten der neuen Kommunikationsräume“ (Jan-Hinik Schmidt, bpb) sind, die jetzt mehr und mehr relevant für uns als Bürger, politische und wirtschaftliche Akteure werden.

In der digital vernetzten Gesellschaft besteht der digitale Raum neben dem physischen. Das heißt, es sind heute Wirtschaftsunternehmen, die diesem digitalen Raum die Regeln geben. Aber Wirtschaft ist nur eine Kraft in der Gesellschaft und ein schlechter Ratgeber für Gerechtigkeit, Fairness, Nachhaltigkeit.

Es ist Aufgabe aller, den digitalen Raum zu gestalten und sich zu fragen: Wie soll die „digitale Vernetzung“ auf uns Individuen und soziale Gemeinschaften heute und morgen wirken? Wo sollte sie Grenzen haben?

Die aktuell vorgelegte „Digital Charta“ gibt darauf keine abschließenden Antworten. Das macht aber nichts. Ihr Verdienst ist es (oder der der Initiatoren), dass sie weitere Akteure – neben der Wirtschaft – auf den Plan holt und der Recht- und Wertediskussion eine Öffentlichkeit gibt.

Daher halte ich die Charta für einen guten und unterstützenswerten Ansatz. Die Diskussion zu den Inhalten hat schon gestartet; sie wird sich entwickeln. Und sicherlich folgt bald ein nächster Vorschlag, ein nächstes Konzept. Hier vertraue ich dem Prozess und hoffe, dass Reibung auch in diesem Fall Wärme verursacht.

#digitalcharta #digitalisierung #wiseway

Kompetent in die digitale Wissensgesellschaft?

Kompetent in die digitale Wissensgesellschaft?

Zwei brandaktuelle Publikationen unserer Bundesministerien zum Thema „digitale Welt“ haben mich diese Woche bewegt: Zum einen die brandaktuelle  Studie zum Digitalisierungsstand der Deutschen vom BMWi (gemeinsam mit der D21-Initiative) und das Strategiepapier „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des BMBF.

Erstere hat neben dem aktuellen Stand des Digitalisierungsindex insbesondere die Digitalisierungskompetenz der Deutschen (auf Basis der Definition des EUROPASS) untersucht. Wenig erstaunlich, dennoch in seiner Deutlichkeit wichtig: 26 % der deutschen Bevölkerung sind abseitsstehende Skeptiker mit geringen Digitalkompetenzen und 39% sind konservative Gelegenheitsnutzer.  Das Gros (65%) der deutschen Bevölkerung nutzt die digitale Technologie also bestenfalls gelegentlich und fühlt sich auch bestenfalls mittelmäßig kompetent: Das Know-How mit dem wir Deutschen der fortschreitenden Vernetzung der Welt begegnen ist deutlich „ausbaufähig“.

digitalisierungsindex

Um dies zu ändern und mit entsprechenden Kompetenzen für die Zukunft gerüstet zu sein, wird auf Bildung verwiesen.

Passend wurde dann in dieser Woche die „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ vom BMBF veröffentlicht. Leider bleibt das Papier dennoch die Antwort auf die Frage schuldig, wie wir Deutsche die notwendige Kompetenz für die „digitale Wissensgesellschaft“ erlangen sollen. Bei den dargestellten Umsetzungsmaßnahmen zur digitalen Bildung handelt es sich vor allem um Maßnahmen zur Verbesserung der Mediennutzung.

Und schwach ist  die Strategie, wenn es um das Bildungsziel geht. Der Bildungsbegriff „für die digitale Wissensgesellschaft“ ist fast vollständig abgeleitet aus dem Funktionieren des Schülers, Studierenden, Lernenden für und in der Arbeits- bzw. Berufswelt. Quasi im Nebensatz werden „klassische Kompetenzen“ genannt. Und immerhin wird Selbst- und Verantwortungsbewusstsein als Bildungsziel zuerkannt.

Der Begriff reduziert Bildung auf ihre Funktion als „Ausbilder der Wirtschaft“ (da wird wohl deutlich, wer derzeit die Diskussion der Digitalisierung bestimmt). Und er reicht m. E. nicht aus, um uns für die sicherlich beherrschende Technologie der nächsten Jahrzehnte zu rüsten. Dabei ist den Autoren durchaus bewusst, dass die vernetzte Welt „alle Lebensbereiche“ durchdringt: Sie schildern es plastisch in der Einleitung des Papiers.

Dabei wurden in der UN-Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014), die jetzt in das Weltaktionsprogramm BNE des BMBF (!) gemündet sind, Kompetenzen für eine globale und zukunftsfähige Gesellschaft beschrieben. Das sind u.a.:  aktiv Teilhaben/Gestalten, Dilemmata bewältigen, autonom Handeln, vorausschauend Denken oder interdisziplinärer Austausch beim Wissensaufbau. Sind diese Kompetenzen für die Zukunft jetzt andere, weil wir uns heute stärker bewusst sind, dass diese zukünftige Welt digital vernetzt ist?

Ich meine, es sind genau diese nachhaltigen Fähigkeiten, die wir als Akteure in der digitalen Wissensgesellschaft brauchen, wenn wir sie verstehen, gestalten, steuern (und nicht nur nutzen) wollen.

„Nur wenn wir die digitale Transformation wert- und zielorientiert gestalten, kann sie nachhaltig werden.“ Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Broy

Wer macht sich nun auf dem Weg, Bildung für eine digital vernetzte, globalisierte und vergleichsweise wohlhabende demokratische Gesellschaft zu gestalten? Welche Kompetenzen sind hilfreich für ein gutes Leben? Und freue mich über einen interdisziplinären (besser noch transdisziplinären) und vorausschauenden Diskurs.