BNW (01/2025): Digitale Verantwortung übernehmen – Nachhaltige Werte in turbulenten Zeiten bewahren
https://www.bnw-bundesverband.de/digitale-verantwortung-uebernehmen-nachhaltige-werte-turbulenten-zeiten-bewahren
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Handlungsfelder für Handwerk und KMU zu einer nachhaltigen Digitalisierung mit Plattformen
Auch traditionsreiche Wirtschaftszweige wie das Handwerk werden von der Digitalisierung stark verändert: Sie können bspw. neue Marketing- und Vertriebswege gehen, ihre Dienstleistungen vermitteln lassen, die Kundenbeziehung von Anfang an über Social Media ganz persönlich gestalten. Digitaltechnologie bietet effizientere Produktionsmethoden, z. B. via 3D-Druck, dem Einsatz von Robotik oder Augmented Reality. Das „Werk“ als individuelles Produkt kann durch neu in den Mittelpunkt gesetzt werden.
Plattformen erobern das Handwerk
Doch auch die Herausforderungen steigen. Durch die neuen Vermarktungsplattformen herrscht mehr Vergleichbarkeit, neuer Wettbewerb. Es entsteht Anpassungs- und Veränderungsdruck. Anpassungen der Geschäftspraktiken bedeutet Investition in Geld und Zeit.
Plattformen sind das „Herz der Digitalisierung“. Bekannte Player wie „Uber“, „AirBnb“, „Lieferando“ und natürlich „Amazon“ gehören zur sog. Plattform-Ökonomie. Sie verkaufen Verbindungen statt Güter oder Dienstleistungen.
Diese digitalen Plattformen erobern nun nach und nach weitere Märkte, wie auch das Handwerk. Neben bereits etablierten Vermittlungsplattformen für Handwerk (wie z. B. myhammer.de) gibt es inzwischen auch welche, die Handwerkerleistungen anbieten ohne jedoch selbst Handwerker als Mitarbeiter zu haben. So wie „Uber“ keine Taxis hat und „AirBnB“ keine Zimmer. Beispiele für Renovierungen aller Art aus dem Netz sind myster.de, renovinga.de oder homebell.com. Ein Beispiel für einen Spezialanbieter ist stegimondo.de, der „Dachdecker im Netz“.
Mit ihren „Plattform“-Geschäftsmodellen verbinden sie als Intermediäre oder Vermittler verschiedene Akteursgruppen in mehrseitigen Märkten miteinander. IT-Plattformen sind die informationstechnologische Grundlage der Plattform-Ökonomie.
Vorteile der Plattformen für Nutzer
“A platform is a business based on enabling value-creating interactions between external producers and consumers.” Eine Plattform ist ein Geschäft, das auf der Schaffung wertschöpfender Interaktionen zwischen externen Produzenten und Konsumenten basiert (Geoffrey Parker, The Marketing Journal 2017, eigene Übersetzung).
Ihr Vorteil ist, dass sie die Kosten für den Leistungsaustausch, d.h. Suche und Abwicklung, für Kunden und Anbieter massiv gegenüber der bisherigen Marktlogik massiv verringern. D.h. die Leistungen der Handwerker können leichter verglichen werden und Verbraucher bekommen Transparenz über die Preise. Die Informationsasymmetrie sinkt.
Eine steigende Anzahl von Anbietern und Nutzern, die z. B. Leistungen bewerten, führt zu einer Wertsteigerung für die Nutzer selbst sowie für die Plattform. Sie bilden ein quasi-natürliches Monopol, weil durch die positiven Netzwerkeffekte die erfolgreichere bzw. größere Plattform bevorzugt wird.
Das ist der Grund, weshalb diese Plattformen quasi als Gravitationszentren in ihren Märkten fungieren und immer mehr Verbraucher dort hin „strömen“.
Plattformökonomie: Risiken für KMU
Diese Plattformen agieren multinational und bilden in „Gravitationszentren“ in ihren Märkten. Der Wettbewerb auf diesen Märkten, der die Grundlage für eine faire Preisbildung darstellt, ist eingeschränkt oder kaum vorhanden.
Durch ihre Stellung als „Alleinherrschende“, die bislang auch kaum durch nationale Regulierung gebrochen wird, diktieren die Plattformen die Regeln des Marktes. Dies birgt Risiken für Nutzer und die anderen Teilnehmer, wie beispielsweise die Selbständigen und KMU, die ihre Dienstleistungen auf der Plattform anbieten.
Business Risiken für KMU bestehen z.B. durch
Handlungsfelder für digitale Nachhaltigkeit in der Plattform-Ökonomie
Wie auch in meinem Interview deutlich wird, ist die digitale Verantwortung von KMU im Kontext der Plattformen nicht zu unterschätzen. Um hier ökonomisch nachhaltig und unternehmerisch verantwortungsvoll zu handeln, ist der Aufbau einer entsprechenden Wissens um die neuen Geschäftsmodelle und ihrer Fallstricke unabdingbar.
Das ist aus zwei Gründen wichtig: Das Kundenvertrauen und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens stehen durch die neue Partnerschaft auf dem Spiel. Falsche Entscheidungen können die Existenz kosten. Daher stehen die folgenden beiden Verantwortungsgebiete im Vordergrund:
Verantwortung für die Kunden: Handwerkern und ihren Kunden traditionell ein enges Vertrauensverhältnis. „Nachhaltige unternehmerische Wertschöpfung, die Raison d’être von Unternehmen, ist ohne Vertrauen nicht möglich.“ (Suchanek 2012, S.55). Dies gilt es in dem neuen Kontext zu erhalten. Die Abwicklung über das Internet und über die Plattformen kann für Kunden einen Vertrauenssprung darstellen, den sie bewältigen müssen. „Vertrauen ist die zuversichtliche Beziehung mit dem Unbekannten“, sagt Rachel Botsman.
Verantwortung für den Werterhalt des Betriebs und die Arbeitsplätze: Der neue Partner, der zukünftig ein Teil der Wertschöpfung und des Produktionsprozesses wird, muss – wie bei jeder kaufmännischen Entscheidung – auf Herz und Nieren geprüft werden. Dabei kommen neue Themen wie Datenschutz und –sicherheit sowie die entsprechenden rechtlichen und ethischen Fragen hinzu. Auch das Geschäftsmodell des Anbieters und die Risiken beim Lösen der Geschäftsbeziehung sind zu prüfen. Und dies vor dem Hintergrund des Machtgefälles und damit auch der Ressourcen bei Rechtsstreitigkeiten.
Für erste Schritte zu einer digitalen Nachhaltigkeitsstrategie möchte ich diese Handlungsfelder Geschäftsführern und Entscheidern bei KMU und im Handwerk ans Herz legen. Gesellschaftlich entsteht ein Wertbeitrag durch digitalen Verbraucherschutz, für die Unternehmen durch Absicherung der Unternehmenswerte.
Acht Punkte für eine digitale Nachhaltigkeitsstrategie für KMU und Handwerk
Die acht Punkte beziehen sich auf die oben genannten Handlungsfelder in der Plattform-Ökonomie. Zu jedem der acht Punkte wird ein Fragenkatalog vorgelegt. Er kann als Arbeitshilfe dienen, um zu unternehmensspezifischen Antworten und Leitlinien zu finden, die in einem nächsten Schritt auch für die Kundenkommunikation und Positionierung genutzt werden können.
1.Bauen Sie Plattform-Kompetenz auf, um potenzielle Partner sorgfältig prüfen zu können.
Dieser Fragenkatalog hat nicht den Anspruch vollständig oder abschließend zu sein. Vielmehr soll er interessierte KMU und Handwerker kurzfristig in die Lage versetzen, die Chancen durch die Plattformökonomie bewusst und unter Berücksichtigung möglicher Risiken zu nutzen.
Auch Handels-, Handwerkkammern und Verbände unterstützen zu digitaler Nachhaltigkeit sicherlich zukünftig systematisch.
Weiterführende Quellen
The Marketing Journal (2017) “The Platform Revolution” – An Interview with Geoffrey Parker and Marshall Van Alstyne. http://www.marketingjournal.org/the-platform-revolution-an-interview-with-geoffrey-parker-and-marshall-van-alstyne/. Zugegriffen am 08.02.2019
Schmidt H (2019) Plattform-Ökonomie. https://www.netzoekonom.de/plattform-oekonomie Zugegriffen am 08.03.2019
Schössler M (2018) Plattformökonomie als Organisationsform zukünftiger Wertschöpfung. Chancen und Herausforderungen für den Standort Deutschland. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/14756.pdf. Zugegriffen am 08.03.2019
Schweitzer H, Peitz M (2018) Datenmärkte in der digitalisierten Wirtschaft: Funktionsdefizite und Regelungsbedarf? ZEW Discussion Papers, No. 17-043. http://hdl.handle.net/10419/170697. Zugegriffen am 20.02.2019
Sommer S (2018) Online-Plattformen für das Handwerk – Chance oder Verhängnis? https://www.handwerk-magazin.de/online-plattformen-fuer-das-handwerk-chance-oder-verhaengnis/150/13/376001 . Zugegriffen am 08.03.2019
Sommer S (2019) Digitale Nachhaltigkeitsstrategie: „Unternehmer müssen auch digital verantwortlich handeln“. Interview Saskia Dörr. https://www.handwerk-magazin.de/digitale-nachhaltigkeitsstrategie-unternehmer-muessen-auch-digital-verantwortlich-handeln/150/30218/383615. Zugegriffen am 08.03.2019
Suchanek A (2012) Vertrauen als Grundlage nachhaltiger unternehmerischer Wertschöpfung. In: Schneider A, Schmidtpeter R (Hrsg) Corporate Social Responsibility. Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis. Springer Gabler, Heidelberg, S.55-66
Veröffentlicht
Erstmals veröffentlicht im CSR-Lexikon am 20.06.2018; Anpassungen am 01.08.20 und am 17.10.20
„Corporate Digital Responsibility“ (CDR) bezieht sich auf die Unternehmensverantwortung in der digitalen Gesellschaft und kann als „Unternehmerische Digitalverantwortung“ übersetzt werden. Der Begriff meint die freiwillige Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Wirtschaften von Unternehmen, das die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung mit berücksichtigt.
Er kann folgendermaßen definiert werden:
Corporate Digital Responsibility (CDR) gehört als Bereich zu einer umfassenden Unternehmensverantwortung (CR) in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft. Es handelt sich um „freiwillige unternehmerische Aktivitäten im digitalen Bereich, die über das heute gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen und die digitale Welt aktiv zum Vorteil der Gesellschaft mitgestalten.“ (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2018, S.1).
CDR bezieht sich einerseits auf die Beachtung digitaler Nachhaltigkeit (d. h. die Nachhaltigkeit von Daten und Algorithmen“, vgl. Stürmer et al. 2017, Smart-Data-Begleitforschung 2018) und anderseits auf Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Wirkungen digitalen Unternehmenshandelns in der Welt (vgl. Esselmann und Brink 2016, Mühlner 2017, Thorun et al. 2018).
Aufgrund des tiefgreifenden digitalen Wandels, der alle Branchen umfasst, handelt es sich nicht nur um ein Verantwortungsgebiet der Digital-, IT- oder ITK-Branche. CDR ist für alle Unternehmen mit (teilweise) digitalem Geschäftsmodell von Bedeutung.
Bezug zur Unternehmensverantwortung
Der Begriff CDR wird in unterschiedlichen Facetten gebraucht. Er leitet sich in seiner Wortbildung von „Corporate (Social) Responsibility“ (CR, gesellschaftliche Unternehmensverantwortung) ab und wird etwa seit 2016 verwendet (vgl. Accenture 2016). Die vorhandenen Erkenntnisse, Instrumente und praktischen Erfahrungen des CR-Managements bieten eine „Blaupause“ für CDR (vgl. Esselmann & Brink 2016). Die Umsetzungsverantwortung kann im Kompetenzbereich von CR-Beauftragten oder Nachhaltigkeitsabteilungen in den Unternehmen liegen, aber ist dort bislang nicht angekommen (vgl. Knaut 2017, Schaltegger & Petersen 2017).
Gesellschaftliche Bedeutung
Die Digitalisierung bietet Chancen zur Beschleunigung der Umsetzung der 17 „Sustainable Development Goals“ (SDG) und damit zur nachhaltigen Entwicklung (vgl. BMZ 2017, Global e-Sustainability Initiative 2016).
Sie stellt aber auch selbst Herausforderungen für eine faire, gerechte und umweltfreundliche Entwicklung dar (vgl. Lange & Santarius 2018). Kritische Themen sind dabei z. B. digitaler Machtmissbrauch durch Überwachung – ob staatlich oder wirtschaftsgetrieben, ethische Fragen bei Übergabe menschlicher Aufgaben (z.B. Zuspruch, Pflege, Lehre) an Maschinen, Freiheitseinschränkungen durch persönliches Scoring, Profiling oder andere Formen der Netzmanipulation, Verlust von sozialen Vertrauen durch Fake News oder Social Bots, Ängste vor einem Ende der Arbeit für Menschen, einer „Versklavung“ durch Superintelligenzen oder der individuellen Überforderung in einer sich immer schneller verändernden Welt.
Darüber hinaus stellen „digitale Artefakte“ (Algorithmen und Daten) den inzwischen größten Teil des Wissens der Menschheit dar. Es ist damit eine Ressource, die es nachhaltig im Sinne des Gemeinwohls heute und in Zukunft zu gestalten und zu nutzen gilt („Digitaler Nachhaltigkeit“; vgl. Stürmer 2017).
Gesellschaftlich wertvolle Digitalisierung
Ziel von CDR ist die Generierung eines sog. „Shared Value“ digitalen Wirtschaftens für Gesellschaft und Unternehmen, d.h. Nutzung der Chancen und Minderung der negativen Effekte (vgl. Porter & Kramer 2006, Esselmann & Brink 2016). Nur wenn dadurch ein gesellschaftlicher Wert durch Digitaltechnologien und Vernetzung entstehen, kann eine entsprechende Wertschöpfung in Unternehmen erfolgen.
Dabei sind freiwillige Selbstverpflichtungen essentiell, um die verantwortungsvolle Umsetzung von Digitalisierung in der Gesellschaft zu unterstützen, denn das Regelungsmonopol der Nationalstaaten ist durch die immer weitergehenden Verflechtungen der globalen digitalen Märkte in Frage gestellt. (vgl. Charta der digitalen Vernetzung 2018, Bitkom 2018, Schäuble 2017).
Wettbewerbsvorteile für Unternehmen
Für Unternehmen bedeutet der digitale Wandel neuen Wettbewerb um Innovation und erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle – darüber hinaus aber vor allem Wettbewerb um das Vertrauen von Kunden und Öffentlichkeit. Mit einer nachhaltigen digitalen Unternehmenspolitik könnten Unternehmen das Vertrauen ihrer Stakeholder gewinnen (vgl. Thorun 2017). Unternehmen, die die Stakeholder-Ansprüche frühzeitig erkennen und in geeigneter Weise reagieren, haben die Möglichkeit, strategische Wettbewerbsvorteile zu erzielen und eine einzigartige Marktposition zu erreichen (vgl. z. B. Porter & Kramer 2006; Schaltegger et al. 2010).
Die Aufgabe der CDR besteht in einer systematischen Abwägung sozialer, kultureller, ökologischer sowie wirtschaftlicher Interessen als Frühindikatoren und Treiber von Geschäftschancen und -risiken entlang der digitalen Wertschöpfungskette (vgl. Schmidtpeter 2017, Thorun 2017).
Stand der Umsetzung in Deutschland
Die „Charta der digitalen Vernetzung“, die aus einem IT-Gipfel hervorgegangen ist, bietet Unternehmen in Deutschland eine Plattform für eine freiwillige Selbstverpflichtung (vgl. Charta der digitalen Vernetzung 2018). Bisher haben ca. 80 Unternehmen und Organisationen die Charta mit zehn Grundsätzen unterzeichnet. Allerdings handelt es sich bei den Grundsätzen um unternehmenspolitische Statements; sie bieten keine handlungsorientierten Ansätze für eine managementpraktische Umsetzung. Mit der Kompetenzplattform für Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Mittelstand „nachhaltig.digital“ besteht die Chance für einen weiteren Wissensaufbau und –austausch zu CDR (nachhaltig.digital 2018).
Im Jahr 2020 entwickelten sich zahlreiche weitere Initiativen und Kommunikationsplattformen zu CDR in Deutschland – mehr dazu auf dieser Akteursübersicht.
Seit März 2020 steht der „Praxisleitfaden Corporate Digital Responsibility“ von Saskia Dörr zur Verfügung, der Unternehmen Impulse und Handreichungen zur Umsetzung von CDR indie Praxis gibt.
Quellen
Veröffentlicht im Juni 2018 auf CSR News